Friederike Mayröcker
20. Dezember 1924 – 4. Juni 2021
„sei du bei mir in meiner Sprache Tollheit du hast
die Blumenkränzchen mir ins Haar gedrückt da ich 1
Kind. Vom Schein des Monds, geblendet war vom Lilien-
glanz des hl.Gestirns von dessen Angesicht, das Meere
wälzt und ruft und wieder läszt, und wurde längst
erforscht an jenem Tag, als wir geflüchtet Hand in Hand
durch Wälder Büsche Rosengärten oh solch Verzückungen.
Und reichtest mir die Hand damals als die Treppe Stein-
treppe wir hinunterstürmten dasz ich nicht fallen solle
ich liebe deine Seele Geist und hl.Leib oh sei bei mir
in meiner letzten Stunde da auffliegt der Sperling über
der Hecke da Mond und Regen Wald und Frühlings Hauch 1
letztes Mal mich küssen werden und weinend Abschied
werde nehmen müsse vom Glanz der Erde Blättchen Pappel-
herzen, es war mir nie 1 Jammertal. Zierlich in Lumpen
von Spitze und Oleander, und zungenwarm von Mund zu
Mund und slumber
(so scheide ich von dieser Welt, »und dasz du meine
Seele heiltest weil sie vor dir gegrünet hat« Augustinus)“
5.8.08
Friedrike Mayröcker, Scardanelli. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2009, S. 43